Nordhorner Gericht begrenzt Hinweispflichten für Reisebüros
Das Amtsgericht Nordhorn hat die Klage eines Kunden gegen ein Reisebüro abgewiesen. Der Mann wollte den Preis für ein Ersatzhotel zurück, nachdem über FTI gebuchte Einzelleistungen wegen Insolvenz ausgefallen und die Zahlung der Kunden verloren waren. Das Gericht erklärte, Reisebüros seien nur bei konkreten, verlässlichen Hinweisen auf eine drohende Insolvenz zu weitergehenden Warnungen verpflichtet. Zudem habe das Reisebüro darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine Pauschalreise handelte.
Reise vor9
Das Amtsgericht Nordhorn hat die Klage eines Reisenden gegen ein Reisebüro (Az. 3C 484/24) in einem mit Spannung erwarteten Urteil abgewiesen. Der Kunde verlangte Ersatz für ein kurzfristig gebuchtes Hotel in Venedig, nachdem seine ursprüngliche Buchung über FTI infolge der Pleite der FTI Group ausgefallen war. Ein Anspruch auf Schadensersatz bestehe nicht, entschieden die Richter.
Im Mittelpunkt stand die Frage, ob das Reisebüro bei der Buchung im März 2024 auf eine wirtschaftliche Schieflage von FTI hätte hinweisen müssen. Der Kläger sah eine Pflichtverletzung und stützte sich unter anderem auf Hinweise zu einer geringen Eigenkapitalquote und kritische Veröffentlichungen in Fach- und Publikumsmedien sowie durch den Reisebüroverband VUSR.
Vermittlervertrag statt Pauschalreiserecht
Das Gericht erklärte dazu, aus dem Vermittlungsvertrag folgten zwar Aufklärungs- und Beratungspflichten des Reisebüros. Es müsse den Kunden bei der Auswahl der Leistung unterstützen und grundsätzlich nur solche Anbieter vermitteln, bei denen eine ordnungsgemäße Durchführung der Reiseleistung zu erwarten sei, heißt es in dem Urteil, das Reise vor9 vorliegt. Eine generelle Kontroll- oder Prüfpflicht der wirtschaftlichen Situation des Veranstalters sah das Gericht jedoch nicht.
Nach Auffassung des Amtsgerichts besteht eine Informationspflicht des Reisebüros, wenn es von einer drohenden Insolvenz eines Veranstalters weiß oder eine solche den Umständen nach erkennbar ist. Voraussetzung seien konkrete Hinweise auf einen Insolvenzeröffnungsgrund wie eine Zahlungseinstellung oder systematische Zahlungsausfälle, die über Einzelfälle hinausgingen, so die Richter.
Das Gericht verweist zudem auf frühere Entscheidungen anderer Gerichte und auf die Fachliteratur. Danach müsse der Reisemittler über ihm bekannte, auf Insolvenzgefahr hinweisende Umstände informieren, sei aber nicht verpflichtet, selbst Nachforschungen zur Bonität anzustellen. Eine allgemeine Bonitätsprüfung lehne die Rechtsprechung überwiegend ab.
Abwägung mit Interessen des Veranstalters
In die Abwägung bezog das Gericht auch das Verhältnis zwischen Reisebüro und Veranstalter ein. Über den Agenturvertrag träfen beide Leistungstreue- und Obhutspflichten, heißt es. Das Reisebüro solle den Vertragszweck nicht gefährden. Unkonkrete Warnungen vor einer "wirtschaftlichen Schieflage" könnten die Geschäftstätigkeit eines Veranstalters erheblich beeinträchtigen und selbst Ansprüche auslösen, so die Richter.
Nur "wahre, hinreichend belegte Umstände", die einen sicheren Rückschluss auf einen Insolvenzeröffnungsgrund erlaubten, sollten daher eine Informationspflicht gegenüber dem Kunden auslösen. Andernfalls drohe faktisch eine Garantiehaftung des Reisebüros für die Zahlungsfähigkeit des Veranstalters.
Rolle von Verbänden und Brancheninformationen
Für die Beurteilung, welche Informationen einem Reisebüro vorlagen oder hätten vorliegen müssen, stützt sich das Gericht auch auf Zeugenaussagen. Eine leitende Mitarbeiterin des Reisebüros schilderte, dass es bis zur Insolvenzantragsstellung keine Auffälligkeiten in der Zusammenarbeit mit FTI gegeben habe. Provisionszahlungen seien fristgerecht erfolgt, Leistungen seien erbracht worden und es habe keine gehäuften Reklamationen gegeben.
Eine Zeugin aus dem Deutschen Reiseverband (DRV) bestätigte laut Urteilsbegründung, dass der Verband vor der Buchung keine Warnung zur Solvenz von FTI veröffentlicht und keine Hinweise gegen Buchungen ausgesprochen habe. Es sei nicht Aufgabe des Verbandes, finanzielle Situationen von Unternehmen öffentlich zu bewerten oder Warnungen auszusprechen.
Presseberichte und Branchenstimmen nicht ausreichend
Der Kläger verwies indes auf eine Mitteilung des Verbandes unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR) und einen Bericht der Zeitschrift Capital, die unter anderem die geringe Eigenkapitalquote und hohe Kredite von FTI thematisierten. Das Gericht wertet diese Informationen als Hinweise auf eine angespannte wirtschaftliche Lage, jedoch nicht als konkrete, hinreichend sichere Indizien für eine drohende Insolvenz.
Auch öffentliche Äußerungen der FTI Group, in denen von steigenden Umsätzen, positivem Ergebnis und laufender Investorensuche die Rede war, wertet das Gericht nicht als Anzeichen für ein bereits so stark gesteigertes Ausfallrisiko, dass eine Hinweispflicht ausgelöst worden wäre.
Kein Schadensersatzanspruch gegen das Reisebüro
Entscheidend für das Urteil war nach Angaben des Gerichts auch, dass der Kläger vor der Buchung darüber informiert worden sei, dass es sich nicht um eine Pauschalreise handelte und damit ein Verlustrisiko bestand. Das Insolvenzrisiko von FTI habe deshalb außerhalb der Sphäre des Reisebüros gelegen und sei beim Kunden verblieben.
Das Amtsgericht Nordhorn wies daher die Klage vollständig ab. Weder der Ersatz der Kosten für das Ersatzhotel noch die geltend gemachten Anwaltskosten standen dem Kläger zu. Das Urteil ist vorläufig rechtsgültig; eine Berufung beim Landgericht Osnabrück ist aber möglich.
Fragen bleiben offen
Das am Donnerstag erlassene Urteil markiert sicher eine Tendenz. Allerdings ist ein weiteres Verfahren beim Amtsgericht Bad Homburg anhängig, in dem das Urteil noch nicht gefällt worden ist. Die Debatte um mögliche Informationspflichten der Reisebüros bei wirtschaftlichen Schieflagen von Veranstaltern ist also noch nicht beendet, zumal den Klägern die Möglichkeit einer Berufung offensteht.
Hinzu kommt, dass im Rahmen des Urteils erstmals klargestellt wurde, dass das Reisebüro den Kunden darauf hinwies, dass es sich nicht um eine Pauschalreise handelte und dass damit ein Verlustrisiko verbunden war. In den Entscheidungsgründen stellte das Gericht heraus, dass der Verbraucher über dieses Ausfallrisiko aufgeklärt wurde und sich bewusst in dieses Risiko begeben habe. Ob dies in anderen Fällen auch so gehandhabt wurde, muss sich erst noch zeigen.
Christian Schmicke