16. Januar 2019 | 15:42 Uhr
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Rätselraten um die Brexit-Folgen

Friedel Knipschild, Chef des Busreiseveranstalters Hunau Reisen aus dem sauerländischen Schmallenberg, hat seine Konsequenzen aus dem Brexit-Chaos gezogen. Er hat Großbritannien vorerst aus dem Kanon der angebotenen Reiseziele gestrichen. Das berichtet der "WDR". Knipschild befürchtet, dass die Reisezeit durch das erwartete Chaos, zum Beispiel am Hafen in Calais, für die Fahrgäste extrem lang werde. Wegen der Wartezeiten am Zoll müssten dann außerdem nicht mehr nur ein, sondern zwei Busfahrer an Bord sein.

Seit das britische Unterhaus am Dienstagabend den Brexit-Vertrag zwischen der britischen Regierung und der EU erwartungsgemäß abgelehnt hat, sind die weiteren Perspektiven so unklar, dass sich die Branche ernsthafter denn je mit der Möglichkeit eines Brexits ohne Vertrag auseinandersetzen muss. De facto bestehen jetzt folgende Möglichkeiten: Die britische Regierung könnte den Brexit-Vertrag neu verhandeln. Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, hat jedoch schon klargestellt, dass die Europäische Union zu inhaltlichen Änderungen nicht bereit ist. Die Briten könnten auch neu über den EU-Verbleib abstimmen. Allerdings will auch das eine Mehrheit des britischen Parlaments nicht, ebenso wenig wie Regierungschefin Theresa May. Als dritte Möglichkeit bliebe ein Brexit ohne Vertrag. Auch dies will eine Mehrheit des britischen Parlaments eigentlich verhindern. Wenn allerdings auch keine der anderen Möglichkeiten zum Zuge käme und sich Großbritannien nicht noch entschlösse, den Brexit abzusagen, liefe die Entwicklung unweigerlich darauf hinaus.

EU-Notfalllplan für den Flugverkehr

Obwohl Premierministerin May eine Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus immer und immer wieder abgelehnt hat, gilt ein Aufschub derzeit als wahrscheinlichste Lösung. Doch auch ein No-Deal-Brexit rückt immer mehr in greifbare Nähe. Dieser hätte vermutlich noch dramatischere Auswirkungen auf die Reisebranche als alle anderen Varianten. Die EU-Kommission hat kurz vor Weihnachten einen Notfallplan für den No-Deal-Brexit beschlossen, der unter anderem verhindern soll, dass der Luftverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vollständig zum Erliegen kommt. Diese Maßnahmen würden allerdings "lediglich die Aufrechterhaltung grundlegender Verkehrsverbindungen gewährleisten und keinesfalls Ersatz für die erheblichen Vorteile der Mitgliedschaft im einheitlichen europäischen Luftraum bieten", heißt es dazu aus Brüssel.

Voraussetzung dafür sei zudem, dass das Vereinigte Königreich Luftfahrtunternehmen aus der EU gleichwertige Rechte übertrage und faire Wettbewerbsbedingungen gewährleiste. Dann soll eine Verordnung zur Gewährleistung der Erbringung bestimmter Luftverkehrsdienste auf zwölf Monate befristet in Kraft treten und zusätzlich eine Verordnung zur Verlängerung bestimmter Lizenzen für die Flugsicherheit auf neun Monate befristet. Auf diesen Notfallplan verweist auch der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft auf Anfrage von Reise vor9 und erklärt, die Airlines diesseits und jenseits des Kanals seien in unterschiedlicher Weise durch den Brexit betroffen, abhängig von der jeweiligen Firmen- und Eigentümerstruktur, dem Flugnetz und anderen Faktoren. Alle Fluggesellschaften bereiteten sich auf die möglichen Szenarien vor, auch auf das Szenario eines Hard Brexits.

Aufwändigere Einreiseformalitäten, Ende der Freizügigkeit

Der DRV erklärt auf Anfrage, er stehe schon seit einigen Monaten im Kontakt mit den zuständigen Ministerien, darunter Bundeskanzleramt, Auswärtiges Amt, Bundeswirtschaftsministerium, Bundesverkehrsministerium, um Schaden von der Reisewirtschaft abzuwenden. Auch aktuell gebe es einen Austausch mit Bundesregierung und Ministerien. In seinem jüngsten "Politikbrief" weist der Verband auf das Risiko eines Stillstands im Flugverkehr ebenso hin wie auf die Möglichkeit, dass "Reisen von, über oder nach Großbritannien dieses Jahr auch kurzfristig storniert werden" müssten. Im schlimmsten Fall sei sogar eine gegenseitige Visumpflicht zwischen der EU und Großbritannien denkbar. Und auch mit der Niederlassungsfreiheit für Unternehmen sowie mit der Freizügigkeit für deren Mitarbeiter könnte es dann vorbei sein.

Im Hafen von Calais sind die Vorbereitungen für den Brexit bereits getroffen. Neue Parkplätze und Flächen für Grenzkontrollen wurden gebaut, um die zu erwartenden Staus zu verringern. Der Hafenbetreiber sieht dem Brexit offenbar gelassen entgegen. „Ich sehe ab dem 29. März überhaupt kein Problem, egal ob mit oder ohne Vertrag. Großbritannien verlässt die Europäische Union, der Hafen von Calais ist vorbereitet, damit der Güterverkehr genauso läuft wie heute“, zitiert der „Deutschlandfunk den Geschäftsführer der Betreibergesellschaft, Jean-Marc Puissesseau. 2018 wurden in Calais neun Millionen Reisende abgefertigt. Ob es in diesem Jahr ähnlich viele sein werden, steht allerdings in den Sternen.

Christian Schmicke

 

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