7. November 2025 | 09:48 Uhr
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Wie Chicago den Wolkenkratzer erfand

Chicago gilt als Wiege des Wolkenkratzers – und bis heute als Schaufenster der Hochhausarchitektur. Vom Willis Tower (Foto) über das Wrigley Building bis zum modernen St. Regis zeigt die Skyline, wie sich Technik, Design und Stadtentwicklung im Lauf von mehr als 130 Jahren verändert haben. Zehn Gebäude stehen exemplarisch für diesen architektonischen Aufbruch.

Chicago Willis Tower

Der Willis Tower, früher Sears Tower, war lange das höchste Gebäude der Welt

Keine Stadt steht so sehr für den Aufstieg in die Höhe wie Chicago. Seit dem 19. Jahrhundert prägen technische Innovation und gestalterischer Mut die Architektur an den Ufern des Michigansees. Zehn Hochhäuser zeigen beispielhaft, wie sich der Wolkenkratzer von der Pionierzeit bis zur Gegenwart entwickelt hat.

Von der Ingenieurskunst zum Wahrzeichen

Der Willis Tower, früher Sears Tower, markiert einen Höhepunkt der Ingenieurskunst. 1973 fertiggestellt, war er mit 547 Metern lange das höchste Gebäude der Welt und ist bis heute ein Symbol der Stadt. Die Aussichtsplattform Skydeck Chicago mit gläsernen Boxen (Foto unten) zieht jährlich Millionen Besucher an.

Nur wenige Jahre zuvor entstand das John Hancock Center an der North Michigan Avenue. Die markante, X-förmige Stahlstruktur machte den 1969 eröffneten Bau zu einem Meilenstein der Hochhausarchitektur.

Chicago Willis Tower Aussichtsplattform

Glanz der Zwanziger

Das Wrigley Building von 1924 brachte mit seiner weißen Terra-Cotta-Fassade Glanz in die Stadt. Es diente der Wrigley Company als Hauptsitz und spiegelt den Optimismus der „Roaring Twenties“ wider.

Mut zur Form

Nur ein Jahr später folgte der Tribune Tower, ein neogotisches Meisterwerk, das nach einem internationalen Wettbewerb entstand. In seine Fassade sind originale Steine berühmter Bauwerke eingelassen – vom Kölner Dom bis zur Chinesischen Mauer.

Mit der Marina City von 1964 wagte Architekt Bertrand Goldberg ein Experiment gegen die Flucht der Mittelschicht aus der Innenstadt. Die zylindrischen Türme – wegen ihrer Form „Corn Cobs“ genannt – verbinden Wohnen, Parken und Freizeit. Bis heute sind sie eines der bekanntesten Motive Chicagos.

Auch der Aqua Tower von 2009 steht für architektonische Innovation. Jeanne Gang schuf mit seinen wellenförmigen Balkonen eine organische Fassade, die Licht und Wind auf neuartige Weise einbindet.

Chicago Skyline

Pionierzeit des Hochhausbaus

Das Monadnock Building von 1891 ist ein Schlüsselmoment der Architekturgeschichte. Ursprünglich als massiver Ziegelbau errichtet und später mit Stahlrahmen erweitert, steht es für den Übergang in die Ära moderner Hochhäuser.

Das Carbide & Carbon Building von 1929 mit seiner grünlich-goldenen Fassade verkörpert den Glanz der späten Zwanziger. Heute ist es als Hard Rock Hotel bekannt. Wenig später entstand das Chicago Board of Trade Building, dessen Ceres-Statue noch immer über das Finanzviertel wacht – Sinnbild für wirtschaftliche Macht und Art-déco-Ästhetik.

Das jüngste Kapitel schreibt das St. Regis Chicago (ehemals Vista Tower), ebenfalls von Jeanne Gang. Mit 365 Metern Höhe und fließender Glasarchitektur setzt der 2020 eröffnete Bau einen modernen, internationalen Akzent.

Chicago Old Town

Kontraste zu Wolkenkratzern in Old Town

Wer sich von den Hochhausschluchten Chicagos für eine Weile verabschieden will, ohne die City zu verlassen, sollte Old Town (Foto oben) einen Besuch abstatten. Der Stadtteil wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts von deutschen Einwanderern gegründet. Die engen, baumbestandenen Straßen und die niedrigen Backsteinfassaden der oft im viktorianischen Stil errichteten Gebäude vermitteln fast ein europäisches Flair – besonders entlang der Wells Street. Restaurants, Bars, Boutiquen und Theater sorgen für eine sehr lebendige Szene. Eine Institution ist das berühmte Improvisationstheater Second City. Es gilt als Geburtsstätte vieler Comedians.

Und wenn man schon in Old Town ist, empfiehlt es sich, dem Lincoln Park einen Besuch abzustatten. Chicagos größter Park zieht sich über elf Kilometer entlang des riesigen Michigan-Sees. Sehenswert sind dort etwa der Lincoln Park Zoo mit kostenlosem Eintritt und das Lincoln Park Conservatory, ein historisches Gewächshaus. Wer hier unterwegs ist, findet ein Netz an Wanderwegen und kann an einem der Stadtstrände Rast machen.

Chicago River

Unterwegs auf dem Chicago River

Zurück in den Hochhausschluchten ist eine Bootstour auf dem Chicago River (Foto oben) eine gute Idee. Mit ein wenig Glück erwischen Besucher sehr kompetente und unterhaltsame Guides, die spannende Geschichten zu den Skyscrapern erzählen können, die den Fluss umranden.

Der Chicago River selbst hat übrigens auch eine ganz eigene Story. Er ist wohl der einzige Fluss, bei dem mittels Ingenieurskunst die Fließrichtung umgekehrt wurde. Der Grund: Im 19. Jahrhundert war Chicago rasant gewachsen – aber das Abwasser landete direkt im Chicago River. Da der Fluss in den Michigansee floss, verseuchte er die Trinkwasserversorgung der Stadt. Immer wieder kam es zu Cholera- und Typhus-Epidemien. Die Lösung brachte ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Man senkte das Flussbett des Chicago River ab und grub einen neuen, tieferen, 45 Kilometer langen Kanal, sodass das Wasser bergab Richtung Westen floss – und damit weg vom Michigansee.

Von den frühen Experimenten des 19. Jahrhunderts bis zu den nachhaltigen Superstrukturen der Gegenwart erzählt Chicagos Skyline die Geschichte des modernen Bauens. Kein anderer Ort vereint technische Innovation, soziale Vision und ästhetische Vielfalt so eindrucksvoll – ein Panorama der Architekturgeschichte in Stein, Stahl und Glas.

Christian Schmicke

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