20. September 2021 | 11:52 Uhr
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Immer weniger Reisebüros verkaufen Bahntickets

Der DB-Konzern hat die Zahl seiner Vertriebsstellen binnen 15 Jahren fast halbiert. Allein nach der Einführung des aktuellen Provisionssystems Anfang 2020 gaben fast 300 Vertriebsstellen den Fahrscheinverkauf auf. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

DB Reisezentrum

Ausverkauf im Bahnvertrieb; auch die Zahl der bahneigenen DB Reisezentren geht zurück

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Frank Tyzak hat mit seinem Berliner Reisebüro schwierige Zeiten überstanden. Durch die Coronakrise sind auch bei seiner Agentur "Die Bahnfüchse“ in Berlin die Einnahmen zeitweise dramatisch eingebrochen. Nach Ausbruch der Pandemie musste der Geschäftsführer seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und war selbst über Monate hinweg vor allem mit Stornierungen von Schul- und Vereinsfahrten mit der Bahn beschäftigt, auf die sich seine Bahnfüchse spezialisiert haben.

Anders als viele Reisebüros hat Tyzak auch einen weiteren Tiefschlag weggesteckt: die gesunkenen Vergütungen der Deutschen Bahn AG für den Fahrscheinverkauf. Noch vor 15 Jahren konnte man sich bundesweit von rund 3.200 Agenturen zu einer Bahnreise beraten lassen und bekam die passenden Tickets. Zu Jahresbeginn waren davon nur noch 1.736 übrig – die Zahl der Vertriebsstellen mit DB-Lizenz hat sich also fast halbiert.

Provisionen seit Jahren im Sinkflug

Der bundeseigene DB-Konzern hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten seine Vergütungen Zug um Zug verschlechtert. Alle drei Jahre gibt es neue Agenturverträge, die zu Kritik, Protesten und dazu führen, dass weitere Partner ausscheiden. Allein nach Einführung des aktuellen Provisionssystems Anfang 2020 gaben nochmals fast 300 Vertriebsstellen den Fahrscheinverkauf auf, schon im Jahr zuvor waren es fast 200.

Die Pandemie könnte den Schwund noch beschleunigen. Langfristige Effekte seien „nicht auszuschließen“, heißt es bei der DB auf Anfrage. Der Umsatz der Agenturen ist demnach allein voriges Jahr um 60 Prozent auf nur noch 243 Millionen Euro gesunken und macht nur noch fünf Prozent der gesamten Ticketeinnahmen aus. Dagegen wuchs der Anteil der Online- und Mobile-Umsätze auf zuletzt 46 Prozent, fast jedes zweite DB-Ticket wird also digital und meist direkt vom Konzern verkauft.

Kahlschlag in und um Bahnhöfe

Der Staatskonzern hat in den letzten Jahrzehnten sein stationäres Vertriebsnetz massiv ausgedünnt. Als DB-Spitze und Regierung zu Beginn des Millenniums die Börse ansteuerten, blieben von zuvor tausend eigenen Reisezentren in Bahnhöfen nur noch 380 übrig. Dort dürfen Kunden nun nicht selten Schlange stehen, wenn sie ein Ticket mit Beratung wollen. Denn auch im Umfeld der Bahnhöfe sind inzwischen nur noch rund 400 freie Agenturen mit DB-Lizenz übrig.

Experten haben lange und vergeblich vor dieser Entwicklung gewarnt. So sammelte Michael Kotzurek, Inhaber der Berliner Agentur GBFR-Reisen, bei einer Protestaktion mehr als 8.000 Unterschriften für eine angemessene Vergütung beim Verkauf von Zugtickets. Denn das aktuelle DB-Provisionsmodell bedeute für viele Verkaufsstellen massive Einbußen und werde zu weniger Qualität und Service für Kunden führen, befürchtete der verärgerte Unternehmer. Kurze Zeit später stellte Corona alles auf den Kopf.

Kein Geld für Mehrarbeit

Für Frank Tyzak brachte die Pandemie nicht nur schwere Umsatzeinbrüche, sondern auch enorme Mehrarbeit: "Der Briefkasten war voll mit Retouren.“ Nicht nur die erhofften Provisionen waren verloren, über Monate mussten zudem die aufwändig zusammengestellten Gruppenreisen für Schulen und Vereine wieder bei Bahnunternehmen im In- und Ausland storniert werden. "Das dauerte teils länger als zuvor die Buchung", erinnert sich Tyzak. 

Einen Ausgleich für den Mehraufwand und die Umsatzausfälle bekamen die Agenturen nicht. Ein erhöhter Provisionssatz hätte wegen der stark gesunkenen Umsätze "die wirtschaftliche Situation der Agenturen nicht gelindert", heißt es beim DB-Konzern. Eine Änderung sei auch "aktuell nicht geplant“, das derzeitige Provisionssystem gelte bis Ende 2022.

Dieses System sieht meist nur noch geringe zwei Prozent Umsatzvergütung vor, also zum Beispiel nur 400 Euro bei Ticketverkäufen von 20.000 Euro. Erst ab 70.000 Euro steigt die Provision auf sechs Prozent. Weitere vier Prozent gibt es, wenn die Agentur ein fehlendes Reisezentrum im Bahnhof oder dessen Umfeld ersetzt. Denn im Regionalverkehr, den die Bundesländer bestellen und mit Bundesmitteln bezahlen, kann die Politik in den Verträgen mit Bahnunternehmen eine stationäre Verkaufsstelle vorschreiben.

Trend zur Digitalisierung ungebrochen 

Da der schlingernde DB-Konzern Milliardenverluste schreibt, dürfen die Vertriebspartner kaum auf Hilfen oder bessere Konditionen hoffen. Allein 2020 sanken die Ticketeinnahmen der DB von zuvor neun auf nur noch fünf Milliarden Euro. Der Trend zur Digitalisierung sei aber auch während Corona ungebrochen und werde weiter anhalten, betont eine Sprecherin.

Tatsächlich wird der DB Navigator als App auf dem Smartphone für viele zunehmend zum Reisebegleiter, bietet sämtliche Angebote im Fernverkehr sowie Tickets und Auskünfte zu rund 50 regionalen Verkehrsverbünden. Der Konzern will weiterhin viele Geld in die Weiterentwicklung der digitalen Kanäle investieren, in Sprachsteuerung und künstliche Intelligenz. 

Für den stationären Vertrieb und Kunden, die dort persönliche Beratung suchen, wird es also kaum einfacher werden. Frank Tyzak hat mit seinen Bahnfüchsen erfolgreich eine Nische gefunden. "Vor der Pandemie hatten wir ein Umsatzplus von bis zu 30 Prozent, der Greta-Effekt war spürbar", berichtet er. Schulfahrten per Bahn seien verstärkt gebucht worden, zum Beispiel von Berlin nach Barcelona.

Tyzak setzt auf den Trend zu nachhaltigen Reisen und zu guter Beratung: "Die Reiselust ist ungebrochen." Gleich nach Bekanntgabe der Reiselockerungen im Sommer seien die Kunden wieder Schlange gestanden, um Bahnreisen vor allem im Inland zu buchen. Denn oft lohnt sich der Gang ins Reisebüro – weil Experten im Tarifdschungel die besten Angebote finden.   

Thomas Wüpper

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