Wie gut kennen die Reisebüros Estland, Frau Baum-Helmis?
Nach einem wechselhaften Sommer blick Estland optimistisch in die Zukunft. Wie sich das Land öffnet, was sich dort in der Zwischenzeit getan hat und was Reisebüros jetzt über Estland wissen sollten und was Deutsche und Esten verbindet, erzählt Evely Baum-Helmis im Interview.
Mit zunehmender Impfquote reisen die Deutschen wieder mehr. Spüren Sie das auch in Estland?
Sicherlich hat der Reiseverkehr in Europa insgesamt und weltweit zugenommen, aber noch nicht in demselben Maße wie wir das vorher kannten. Deutschland ist nach unseren Nachbarländern Finnland, Russland und Lettland traditionell der viertgrößte Quellmarkt von Estland. Im Sommer 2020 hat die sogenannte "Baltic Bubble" den Deutschen das Reisen leichter gemacht. In diesem Sommer gab es das leider nicht und Estland, Lettland und Litauen hatten unterschiedliche Einreisebestimmungen. Dies war auch ein Hindernis für die Deutschen.
Und jetzt?
Wir ermutigen geimpfte Menschen, nach Estland zu kommen. Es gelten bis auf weiteres keine Reisebeschränkungen. Es spielt keine Rolle, wie hoch die Infektionsrate im Herkunftsland ist. Wer vollständig geimpft ist, muss sich nicht testen lassen oder in Quarantäne. Ein komplett grünes Licht. Außerdem beginnt in Europa jetzt die Nebensaison. Sie können in Estland einige wirklich gute Angebote für Unterkünfte, Restaurants und Spas finden, den schönen estnischen Herbst ohne Gedränge genießen. Also, es wird Zeit für Estland!
Was ist bei deutschen Touristen zurzeit im Trend?
Die Deutschen unterscheiden sich da wenig von Touristen aus anderen Ländern. Die ganze Planung und Buchung von Reisen sind extrem kurzfristig geworden. Das ist für die Tourismusunternehmen ziemlich schwierig und für den Besucher sicherlich etwas unangenehm, weil man in letzter Minute vielleicht nicht das bekommt, was man möchte. Aber das ist im Augenblick leider die Realität.
Seit der ersten Themenwoche in Counter vor9 ist fast ein Jahr vergangen. Was hat sich in Estland touristisch in dieser Zeit getan?
Ohne Zweifel hat sich in unserer Hotellandschaft viel verändert. Viele der großen und beliebten Hotels haben die Zeit der Pandemie genutzt, um zu renovieren und den aktuellen Sicherheitsanforderungen zu entsprechen und neue Produkte entwickelt. Das Tallink City Hotel und das Nordic Hotel Forum sind Beispiele dafür. Das Nordic Hotel Forum ist auch offizieller Hotelpartner für das kommende Black Nights Film Festival, eines der größten Film Festivals in Nordeuropa. Ich empfehle hier, im Voraus zu buchen, denn das Filmfestival ist nicht nur eine Touristenattraktion, sondern auch bei Einheimischen sehr beliebt. Glauben Sie mir, es ist ein großes Vergnügen, im recht dunklen November nach Tallinn zu kommen, das Café-Leben oder die sehr gute und moderne estnische Küche zu genießen.
Wie hat Covid-19 das Straßenbild und das touristische Angebot in Estland verändert?
Das Straßenbild hat sich kaum verändert. Heute haben geimpfte und genesene Menschen Zugang zu allen Dienstleistungen in Estland wie früher, sie müssen nur einen entsprechenden Nachweis vorzeigen. Das gilt für einen Theater- oder Kinobesuch genauso wie für Restaurants oder Spas. Die apokalyptischen Szenen vom März und April 2020, als in Tallinn wie in den anderen Großstädten der Welt der Wind den Staub durch die sonst so lebendigen Straßen peitschte, gehören hoffentlich der Vergangenheit an. Unsere touristischen Unternehmen legen großen Wert auf Sicherheit. Reisende in Estland können sich an dem Label „You are safe here“ orientieren, das bestätigt, dass die Einrichtungen sich an alle Regeln des Gesundheitsamtes halten.
Wie gut kennen die deutschen Reisebüros Estland?
Im B2B-Bereich kennt man Estland als Ziel recht gut, auch wenn viele Reisebüromitarbeiter vielleicht noch nicht da gewesen sind. Wir nutzen verschiedene Kanäle wie Newsletter, digitale Plattformen wie E-Learning, Workshops, Netzwerke, Kooperationen mit Veranstaltern und Reisebüros, Messen, Pressearbeit, aber natürlich auch Inforeisen dafür, um Estland bekannter zu machen. Das Schöne am deutschen Markt ist, dass wir uns nicht nur auf touristische Attraktionen fixieren müssen. Wir haben eine Menge kultureller und historischer Gemeinsamkeiten, die eine Reise interessant machen. Ich stelle zum Beispiel oft die sprachlichen Verbindungen zwischen Estnisch und Deutsch heraus: zum Beispiel Wurst (vorst) oder Kartoffeln (kartul). Die Geschichte der deutsch-baltischen Architektur oder unserer Gutshäuser ist auch ein interessantes Thema. Das macht Deutsche mit zu den dankbarsten ausländischen Besuchern in Estland.
Was ist der größte Irrtum von Expedienten, wenn es um Estland geht?
Es gibt keine Irrtümer. Es gibt jedoch zwei Überraschungen, die ausländische Besucher in Estland normalerweise erleben. Das erste ist unser leckeres Essen, das aus frischen nordischen Zutaten hergestellt wird. Das zweite ist die Ruhe: Man kann wirklich im schönsten Kiefernwald wandern, ohne jemandem zu begegnen, oder an den Strand gehen, und es fühlt sich an, als sei man allein.
Was sollten Reisebüros bei der Beratung unbedingt wissen und beachten?
Unsere guten Direktflüge von Deutschland, wie die neue Strecke München – Tallinn von Air Baltic, sind sicherlich wichtig. Auch jetzt in der Nebensaison ist es für Deutsche, die nach Tallinn kommen, spannend, nicht nur die Altstadt, sondern auch die kleineren Stadtviertel rund herum zu besuchen: den Kreativcampus Telliskivi am Bahnhof mit seiner schönen Holzarchitektur, guten Restaurants und dem neuen Bahnhofsmarkt oder das Rotermann-Viertel im Stadtzentrum, das aus alter Industriearchitektur aufgebaut wurde. Oder das Noblessner-Viertel auf dem Gelände der ehemaligen U-Boot-Werft direkt am Meer. In allen Bereichen zeichnet sich das estnische Tourismusangebot durch ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis aus. Tallinn hat nicht umsonst 2018 von Lonely Planet die Auszeichnung "Best Value Destination" erhalten. Das gilt noch immer.
Die drei wichtigsten Argumente für eine Reise nach Estland?
Erstens: kurze Wege. In kürzester Zeit vom Flughafen in die Stadt, Sie müssen sich nicht zwischen einer Städtereise und einem Urlaub auf dem Land entscheiden – selbst ein Kurzurlaub kann eine Vielzahl von Erfahrungen bieten. Zweitens: gutes Essen, saubere Natur, faszinierende Kultur, einschließlich mehrerer Unesco-gelisteter lokaler Kulturerlebnisse. und drittens: genug Platz, um alles zu genießen, ohne von den Touristenmassen herumgeschubst zu werden.
Welche Zielgruppe lässt sich am leichtesten für Estland begeistern?
Deutsche Touristen sind naturverliebt. Für Naturliebhaber und Wanderfreunde ist Estland eine Offenbarung. Da hat das Land mit seinen sechs Nationalparks und Wanderwegen in unseren Moorgebieten und Wäldern sowie an der Küste viel zu bieten. Das Land lässt sich zudem sehr gut per Rad erkunden, dabei helfen unsere digitalen Radkarten. Geschäftsreisende zeigen großes Interesse an der Digitalisierung und an e-Estonia und möchten die Produkte und Lösungen vor Ort kennenlernen. Und seit vielen Jahren empfehle ich unsere kleinen Inseln sowie Küstenorte all jenen, die einen schönen Badeurlaub an einem Ort verbringen möchten, an dem es die meiste Zeit nicht so furchtbar heiß ist, obwohl unser Sommer dieses Jahr auch recht heiß war. Kulturfans schätzen die gelungene Mischung aus Ost und West, Tradition und Moderne. Und Gourmets geraten ins Schwärmen. Estland ist ein neuer Stern am nordeuropäischen Reisehimmel, seine Hauptstadt Tallinn teils mittelalterlich, teils sehr jung und international.
Evely Baum-Helmis ist seit 2006 bei Visit Estonia als Market Manager für die deutschsprachigen Länder zuständig. Sie hat ihren Sitz in Hamburg und vermarktet Estland als Reiseziel und platziert estnische Tourismusprodukte im internationalen Wettbewerb. Baum-Helmis hat in Tallinn und Berlin Sprachen, Literatur und Tourismus studiert.
Mehr über das nordische Land erfahren Sie mit unserer Themenwoche Estland auf Reise vor9 und Counter vor9: News, Hintergrund und Tipps für die Beratung im Reisebüro.