Wie Calviàs Bürgermeister auf die Overtourism-Debatte blickt
Juan Amengual (Foto), Bürgermeister der mallorquinischen Gemeinde Calvià, sieht im Mangel an bezahlbarem Wohnraum und der unregulierten Ferienvermietung zentrale Ursachen für die wachsende Kritik am Tourismus. Im Gespräch mit Reise vor9 plädiert er für gezielte Steuerung, neue Wohnkonzepte und eine differenzierte Sicht auf die Debatte um Overtourism.

Ajuntament Calviá
Juan Amengual sieht in den Overtourism-Protesten vor allem einen Hinweis auf soziale Probleme
Calviàs Bürgermeister Amengual betrachtet den zunehmenden Unmut über den Tourismus auf Mallorca nicht als Ablehnung gegenüber der Branche, sondern als soziales Warnsignal. "Die Tourismusphobie ist eine Folge der fehlenden Möglichkeit, in der Region noch bezahlbar wohnen zu können", sagt er. Das eigentliche Problem sei nicht die Anzahl der Hotelbetten, sondern das rasante Wachstum der legalen und illegalen Ferienvermietung, das Wohnraum verknappe und die Preise in die Höhe treibe.
Illegale Vermietung verschärft die Lage
Amengual verweist auf mehr als 24.000 registrierte Ferienwohnungen auf den Balearen, zu denen rund 20 Prozent weitere illegale Unterkünfte kommen. Viele dieser Unterkünfte seien Wohnungen, die dem Mietmarkt entzogen würden. "Normale Leute finden keine Wohnung mehr, weil viele Apartments als Ferienunterkunft vermarktet werden", sagt der Bürgermeister. Gleichzeitig bleibe die Zahl der Hotelbetten seit Jahren weitgehend stabil.
Zwar zeige sich in Calvià selbst keine Überfüllung in den Urlaubsorten, aber die Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur sei an vielen Stellen überlastet. Besonders die Anfahrtswege nach Palma seien problematisch. Die Zahl der Einwohner in der Region steige seit Jahren kontinuierlich – in Calvià allein leben heute über 53.000 Menschen, hinzu kommen zehntausende Touristen in der Saison.
Calvia setzt auf intelligente Steuerung
Mit dem Konzept "Destino Turístico Inteligente" will Calvià die Tourismusströme lenken. Sensoren und Datenanalysen helfen dabei, Auslastungen zu erfassen und Maßnahmen gezielt zu steuern. Eine wichtige Säule ist zudem die saisonale Entzerrung: "Wir investieren gezielt in Veranstaltungen und Angebote außerhalb der Hochsaison", betont Amengual.
Kongresse, Sport-Events und verlängerte Services an den Stränden sollen Gäste auch in den Wintermonaten anziehen. Hotels und kommunale Einrichtungen bleiben länger geöffnet, die Beschäftigungsmöglichkeiten für Einheimische sollen stabilisiert werden. "Wir wollen, dass die Menschen hier ganzjährig arbeiten und leben können", so Amengual.
Sozialer Wohnungsbau als Teil der Lösung
Die Gemeinde fördert zudem den Bau von preislimitierten Wohnungen für Einheimische. Dabei sollen vorrangig Menschen zum Zuge kommen, die seit mindestens sieben Jahren in Calvià leben. "Es geht darum, Wohnraum für Familien zu schaffen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben – nicht für Zweitwohnsitze", sagt Amengual.
Ein weiterer Aspekt: das Verhalten der Urlauber. "Viele verstehen nicht, dass wir auf einer Insel mit begrenzten Ressourcen leben", so der Bürgermeister. Er berichtet beispielhaft von einem Erlebnis mit Touristenkindern, die nachts mit Wasser aus Strandduschen spielten und es ohne Einspruch seitens der Eltern fröhlich laufen ließen – ein Problem angesichts knapper Wasserreserven. Eine neue Sensibilisierungskampagne soll Besucher zu mehr Rücksichtnahme aufrufen.
"Touristen sind willkommen – aber mit Augenmaß"
Amengual will den Tourismus nicht bremsen, sondern besser integrieren. "Calvià lebt zu 90 Prozent vom Tourismus. Unsere Menschen wissen das. Aber wir müssen Regeln setzen, um das Gleichgewicht zwischen Gästen und Einheimischen zu erhalten", so der Bürgermeister. Die Herausforderungen seien groß, aber auch eine Chance: "Mallorca muss kein Opfer seines Erfolgs werden – wenn wir rechtzeitig handeln."
Christian Schmicke