13. Dezember 2021 | 09:23 Uhr
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Reiserechtler Führich erläutert Sichtweise zu Stornoregeln

"Kostenfrei ist vorbei!", hatte Jurist Ernst Führich kürzlich mit Blick auf pandemiebedingte Stornierungen gesagt. Wer heute sehenden Auges und in Kenntnis der dynamischen Wellen der Ausbruchsgeschehen der Pandemie Reisen buche, könne sich bei einer Stornierung nicht auf einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand berufen. Auf seiner Website erläutert Führich seine Sichtweise.

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Da die weltweite Infektionsgefahr durch die Corona-Pandemie bereits bei Vertragsschluss einem verständigen Reisenden bekannt sei, greife der Schutz des EU-Pauschalreiserechts nicht, fasst Führich seine Position zusammen. Reise vor9 greift die wichtigsten Argumente auf.

Führichs Argumentation im Überblick

  1. "Ein kostenloser Rücktritt ohne Stornoentschädigung bei Pauschalreisen besteht nach § 651h III BGB nur unter zwei Voraussetzungen: „(1) Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe, welche (2) die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen“. Wenn damit die erste Voraussetzung des außergewöhnlichen Umstandes nicht erfüllt ist, kommt es juristisch nicht mehr auf die zweite Voraussetzung einer erheblichen Beeinträchtigung an. 
  2. Der unvermeidbare, außergewöhnliche Umstand ist die seit dem 11.3.2020 durch die WTO ausgerufene weltweite Corona-Pandemie. Dass die Corona-Pandemie als Risiko für die menschliche Gesundheit ein unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstand  darstellt, haben die Gerichte einzelfallbezogen in den Jahren 2020 und 2021 für Reisen, die „vor dem Ausbruch gebucht“ wurden, weitgehend bejaht. 
  3. Die durch die Pandemie in der Folge verursachten Einschränkungen und behördlichen Maßnahmen wie Einreiseverbote und  Reisewarnungen zählen nicht zu den unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen, sondern sind eine Folge der Pandemie und können nur bei der der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt, berücksichtigen werden.
  4. Das EU-Recht geht davon aus, dass die Corona-Pandemie im „Zeitfenster nach Vertragsschluss und vor dem Reisebeginn auftritt“. Wenn die Pandemie also bereits bei der Buchung der Reise aufgetreten ist, kann dieser außergewöhnliche Umstand für ein kostenloses Storno nicht berücksichtigt werden. Dann kommt es aber auf die zweite Voraussetzung einer erhebliche Beeinträchtigung nicht mehr an."

Entscheidend sei die Vorhersehbarkeit der Pandemie bereits bei der Buchung, schreibt Führich. Sei die Pandemie  bereits „bei der Auswahl der Reise bekannt“, sei die vereinbarte Entschädigung gemäß AGB als Normalfall zu zahlen. Urlauber könnten bei der Buchung nicht die Augen vor dieser seit zwei Jahren andauernden weltweiten Gefahr für Leib und Leben verschließen und hoffen, die Pandemie werde bald vorbei sein, so der Jurist. Führich betont: „Ein Reisender handelt rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB und ist nicht schutzbedürftig, wenn er sich auf einen entschädigungslosen Rücktritt vor Reisebeginn iSd § 651h III BGB beruft, obwohl er bei Vertragsschluss wissen konnte, dass die Behörden, die immer noch bestehende europa- und weltweite Infektionsgefahr durch die Pandemie weiter versuchen einzudämmen.“

Vom Vorliegen des außergewöhnlichen Umstandes der Pandemie zu unterscheiden seien die Beeinträchtigungen zum Beispiel des Luftverkehrs durch die Pandemie aufgrund staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionsgefahr. Diese politischen Maßnahmen seien eine Folge der Pandemie. Dadurch verursachte Beeinträchtigungen einer Reise durch behördliche Maßnahmen wie Flugverbote seien keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände, sondern zählten als Folge der Pandemie zur den mehr oder weniger starken Beeinträchtigen einer Reise iSd. § 651h III BGB. So sei auch die kürzlich durch das Auswärtige Amt erfolgte Hochstufung Südafrikas als Virusvariantengebiet auf Grund der Variante Omikron ein po­li­ti­scher Er­mes­sens­ak­t zur Eindämmung der Infektionsgefahr, aber für sich genommen noch kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Gesetzes. 

Objektive Kenntnis der Pandemie entscheidend

Da die Corona-Pandemie mit ihren Ausbruchswellen zwischenzeitlich seit fast zwei Jahren das beherrschende Thema aller Medien sei, könnten sich Reisende nicht mehr darauf berufen, sie hätten von dem wellenförmigen Ausbruchsgeschehen des Corona-Virus nichts gewusst. Entscheidend sei, dass „verständige Reisende“, die bei der Buchung vorhersehen könnten, dass die Infektionsgefahr durch die Corona-Pandemie immer noch bestehe, nicht schutzwürdig seien, wenn sie später aus Angst vor behördlichen Beeinträchtigungen aus dem Vertrag aussteigen wollten. Maßgeblich sei nicht die Frage, ob Behörden Urlaubsgebiete als „Hochrisikogebiete oder Virusvariantengebiete“ auswissen, da dies nur wechselnde Folgen der bereits bei der Buchung bekannten Pandemie seien. 

Davon seien die aus Kulanz durch Reiseveranstalter vorgenommenen Reiseabsage zu unterscheiden, so Führich weiter. Wenn heute Reiseveranstalter bei Reisen in Virusvariantengebiete wie Südafrika freiwillig aus Kulanz  ihre Reisen absagten, brächten sie ihre vertraglichen Leistungen wegen des außergewöhnlichen Umstands der Corona-Pandemie nicht. Das Gesetz gehe in diesem Fall davon aus, dass ein von einem Kunden gezahlter Preis binnen 14 Tagen zurückzuzahlen sei.

"Corona-Beschränkungen sind heute Lebensrisiko"

Letztlich sei festzustellen, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auch dem Schutze des Reisenden dienen, meint Führich. Staatliche Reisebeschränkungen zählten damit nicht nur zur Verantwortungssphäre des Veranstalters, sondern auch zum Privatrisiko des Reisenden. Mit zunehmender Dauer der Pandemie erscheine es „angemessen, die behördlichen Reisehindernisse zum privaten Lebensrisiko des Reisenden zu zählen“, erklärt der Reiserechtler. Insoweit sei keine Unterscheidung gerechtfertigt zu den bisher anerkannten privaten Risiken wie seiner fehlenden behördlich notwendige Impfung für eine Reisedestination, dem persönlichen Impfrisiko oder einer Erkrankung. 

Verbraucherschutz im Gleichgewicht zum Unternehmerschutz

Der Verbraucherschutz müsse im Gleichgewicht zum Unternehmerschutz stehen, urteilt Führich. Das EU-Recht wolle nicht nur den Verbraucher schützen, sondern auch den Veranstalter als Unternehmer: „Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragspartner, erleidet der Reiseveranstalter ohne eine Stornoentschädigung so erhebliche finanzielle Nachteile, dass der Wesensgehalt der Grundrechte der Unternehmerfreiheit und des Eigentums der EU-Grundrechte-Charta verletzt wird. Damit ist das Gleichgewicht zwischen den Grundrechten des Unternehmerschutzes und des Verbraucherschutz gestört, erklärt der Jurist.  

Führich glaubt, dass auch die Gerichte, die über Stornierungen der vierten Wellen dies genauso sehen wie er. Aktuelle Urteile zum Thema stehen allerdings bislang aus; andere Juristen, wie etwa Rechtsanwalt Kay Rodegra beurteilen die Situation anders. Führich rät Kunden dazu „bei der Buchung von Reisen, die etwas teueren Flex-Tarife zu wählen, die ein möglichst lange kostenfreie Stornierung ermöglichten.

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