8. Dezember 2017 | 06:00 Uhr
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Key West – A State of Mind

Carol Shaugnessys Augen leuchten, wenn sie darüber spricht. Dabei liegt der große Coup, den sich Key West leistete, schon 35 Jahre zurück. Damals erklärte Key West, die südlichste Stadt der Vereinigten Staaten am westlichen Ende der Florida Keys, die Unabhängigkeit von den USA.

Wie es dazu kam, das sagt einiges über die 26.000-Einwohner-Gemeinde, die geografisch näher an Kuba als an Floridas Metropole Miami liegt. Damals, 1982, errichteten die US-amerikanischen Grenzbehörden eine Kontrollstelle am Highway Nr. 1, um nach Drogen und illegalen Einwanderern zu suchen. Die Fahrzeugkontrollen führten zu kilometerlangen Staus auf dem Weg von Key West zum Festland. Gäste stornierten daraufhin ihre geplanten Reisen, der Tourismus litt, die Bewohner fühlten sich drangsaliert.

Der Coup. Die Stadtregierung von Key West forderte die sofortige Entfernung der Kontrollstelle. Nachdem zunächst nichts geschah und eine entsprechende Klage scheiterte, reichte es den Verantwortlichen, die entdeckt hatten, dass feste Kontrollstellen nur an den Außengrenzen der USA rechtens waren. Am 23. April riefen sie die Unabhängigkeit der Florida Keys von den Vereinigten Staaten aus. Anschließend erklärten sie den USA, mit trockenen Brotstangen bewaffnet, den Krieg. Innerhalb von 60 Sekunden kapitulierten die Insulaner bedingungslos und forderten eine Milliarde US-Dollar finanzielle Wiederaufbauhilfe. Auf das Geld warten sie heute noch, doch die verhasste Kontrollstelle verschwand.

Der nächste Streich. Die Ausrufung der "Conch Republic“, deren Flagge die Fechterschnecke,  englisch Conch, ziert, sollte nicht der letzte Streich der Bürger von Key West bleiben. 2006 feierten sie einen weiteren Sieg über die US-Regierung. Diese hatte kubanischen Flüchtlingen, die auf den maroden Einzelteilen der alten Eisenbahnbrücke nach Key West  gelandet waren, mit der Begründung die Einreise verweigert, das Bauwerk sei nicht mit dem Festland verbunden und daher nicht Teil der USA. Nur wer seinen Fuß bereits an Land gesetzt hat, wird von den Vereinigten Staaten nicht zurückgeschickt.

Daraufhin kaperten die Conchs, bewaffnet mit Piratenhüten, bunten Fähnchen und den bereits bekannten trockenen Brotstangen die marode Brücke und beanspruchten sie für sich. Wiederum mit Erfolg. Nachdem die Besatzungstruppen der Spaßnation dort gelandet waren, nahmen die USA ihre Entscheidung  tatsächlich zurück.

Das Selbstverständnis. Carol Shaugnessy, die das Tourismusmarketing von Key West und den Florida Keys betreut, muss nicht viel mehr erzählen als das, um ihren Besuchern zu verdeutlichen, dass in Key West so manches anders läuft als sonstwo auf der Welt. Das drückt sich nicht nur in einem hohen Anteil von Schwulen und Lesben und einer großen Beliebtheit der Insel als Reiseziel bei diesen Bevölkerungsgruppen aus. Die Stadt, die sich nie als faktisches  Staatsgebilde sah, sondern als "state of mind“ – Geisteshaltung – gilt als Sehnsuchtsort für Exzentriker  und will für Freiheitsliebe und Toleranz stehen. Das war schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts so, als der Schriftsteller Ernest Hemingway hier lebte, dessen früheres Wohnhaus ihm heute als Museum gewidmet ist.  

Dass sich Key West  von Hurrikan "Irma“, der die Florida Keys im September heimsuchte, deutlich schneller erholte als erwartet, liege am starken Gemeinsinn, der hier herrsche, sagt Shaugnessy, die seit 35 Jahren auf den Florida Keys lebt. "Wir sind es nicht gewohnt, auf staatliche Hilfe zu warten, sondern hier steht jeder für sich und für den anderen ein“, sagt sie mit dem Brustton der Überzeugung.

Die Highlights. Alljährlich um den 23. April wird die Unabhängigkeit der Conch Republic ausgiebig gefeiert. Zu den Höhepunkten gehört das traditionelle Rennen der „drag queens“, die in Highheels und Abendkleid um die Wette stöckeln, und eine ebenso große wie schräge Parade. Aber auch außerhalb der Festtage ist der Ort, dessen hübsche hölzerne Häuser von breiten Veranden umsäumt werden, einen Besuch wert. Wer will, kann sich günstig im Hop-on-hop-off-Trolley durch die Stadt kutschieren lassen. Wirklich große Sehenswürdigkeiten gibt es hier nicht – mit seinen schrägen Typen ist Key West selbst die Attraktion. Man lässt sich durch die Straßen treiben, genießt den Trubel am Mallory Square oder in den Bars der Duval Street, unternimmt auf einem der zahlreichen Katamarane eine von karibischen Klängen untermalte Tour in den Sonnenuntergang. Und wer ein Stückchen des anarchischen Eilands mit nach Hause nehmen will, kann sich vor Ort oder online einen "echten" Conch-Pass bestellen. Der gilt zwar eigentlich nirgends, soll aber Gerüchten zufolge schon an so manchem Grenzübergang ohne Probleme abgestempelt worden sein.

Christian Schmicke

 

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