Ist Greenwashing bei der CO2-Kompensation die Regel?
Eine Recherche der Zeit, des Guardian und der investigativen Plattform Source Material legt nahe, dass viele CO2-Zertifikate, die unter Aufsicht des weltweit führenden Zertifizierers Verra verkauft wurden, deutlich weniger Kohlendioxid einsparen als angegeben. Dabei geht es vor allem um Waldschutzprojekte.
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Laut der Recherche beaufsichtigt die in New York ansässige Nichtregierungsorganisation Verra 75 Prozent aller Emissionen auf dem freiwilligen – also nicht staatlichen – Kompensationsmarkt. Die Zertifikate werden von zahlreichen Konzernen gekauft, um ihren CO2-Ausstoß zu kompensieren, darunter etwa Flugzeugbauer Boeing, Airlines wie Delta und Air France und der Disney-Konzern.
An dem Handel mit CO2-Zertifikaten sind vier Parteien beteiligt: Käufer, Händler, Projektbetreiber und ein Zertifizierer, der festlegt, wie viele Zertifikate sich die Projekte anrechnen dürfen. In der Kritik der Zeit-Recherche stehen vor allem Waldschutzprojekte, die dafür sorgen sollen, dass CO2 eingespart wird, indem zum Beispiel ein Stück Regenwald nicht wie geplant abgeholzt wird. Die Projektbetreiber versprechen dabei, dass bestehende Wälder stehen bleiben.
"Über Jahre die Kompensation überbewertet"
Nach den gemeinsamen Recherchen der drei Publikationen wurden "über Jahre offenbar Millionen CO2-Zertifikate verkauft, die es nicht hätte geben dürfen". Zahlreiche Waldschutzprojekte hätten ihre Kompensation um ein Vielfaches überbewertet, weil die Regeln des wichtigsten Zertifizierers auf dem Markt das zuließen und die Aufsicht versage. 89 Millionen Tonnen CO2 seien als "Geister-Zertifikate" auf dem Kompensationsmarkt gelandet, das entspreche dem jährlichen Ausstoß von Griechenland und der Schweiz zusammen, schreibt die Zeit.
Zahlreiche Projekte hätten entweder angegeben, wesentlich mehr CO2 einzusparen, als es für das betreffende Waldgebiet realistisch erscheine oder sie hätten unterschlagen, dass Teile des Waldgebiets gar nicht verschont, sondern zerstört worden seien, heißt es unter Berufung auf einen Wissenschaftler, der selbst für einen Händler gearbeitet hat, der Zertifikate aus fragwürdigen Projekten verkaufte.
"Kulanteste Kreditkarte der Welt"
Damit Klimaschutz durch Waldschutz funktioniert, müssen die Wälder viele Jahrzehnte intakt bleiben. Das berge Risiken, wissen die Autoren der Recherche. So könnten etwa Bäume abgeholzt, von Stürmen oder Bränden zerstört werden. Dann entweiche der Kohlenstoff zurück in die Atmosphäre. Das US-Investigativmedium Pro Publica soll das Geschäft einmal als "kulanteste Kreditkarte der Welt" bezeichnet haben. Der Käufer erhalte den gesamten Nutzen im Voraus, während es ein Jahrhundert dauere, bis die Schulden vollständig zurückgezahlt seien.
Ein Problem der Waldschutzzertifikate liegt in ihrer Systematik. Denn jedes Waldschutzprojekt beruht zwangsläufig auf einer Spekulation über die Zukunft: Wie viel Wald würde künftig abgeholzt, wenn er nicht zum Verkauf von Zertifikaten unter Schutz gestellt würde? Daher bergen die Projekte laut der Recherche einen "natürlichen Anreiz, falsch zu spekulieren". Denn je mehr Abholzung ein Projektbetreiber in seinem Wald erwartet, desto mehr Zertifikate kann er produzieren. Je düsterer seine Prognose, desto mehr Geld kann er also verdienen.
Vereinte Nationen arbeiten nicht mit Waldschutzprojekten
Unter anderem deshalb haben die Vereinten Nationen schon im Kyoto-Protokoll von 1997 beschlossen, den Schutz von Wäldern nicht in ihr staatliches Kompensationsprogramm aufzunehmen. Auch ein weiteres Programm namens "Gold Standard", das mehrere NGOs wie der Word Wildlife Fund 2003 auf den Markt brachten, schloss solche Projekte kategorisch aus. Deren Projekte konzentrierten sich auf Solaranlagen und auf Baumpflanzungen, aber nicht auf den Schutz bestehender Wälder.
Bestätigen sich die Vorwürfe der Autoren, dann dürfte in den Handel mit Zertifikaten zur CO2-Kompensation neue Bewegung kommen. Auch die Touristik kann das Thema nicht kalt lassen, sofern der Handel vom Zertifizierer Verra beaufsichtigt wird und das umgesetzte Geld in Waldschutzprojekte fließt. Dem Vorwurf des Greenwashings bietet die Affäre jedenfalls neue Nahrung.